König David war alt geworden und hatte es verpasst, seine Nachfolge wirksam zu regeln. Sein Sohn Abschalom putscht.
Da ging Abschalom, der Sohn des Königs David, nach Hebron. Er schickte heimlich Boten zu allen Stämmen Israels und ließ bekannt machen: »Wenn ihr das Widderhorn hört, dann ruft: ‘Abschalom ist König geworden!’« Ein Bote aus Hebron meldete David: »Das Herz der Männer Israels gehört Abschalom!« Da sagte David zu seinen Leuten: »Wir müssen aus Jerusalem fliehen! Es gibt keine Rettung vor Abschalom. Schnell fort, bevor er hier ist, sonst fallen wir in seine Hand und er richtet in der Stadt ein Blutbad an.« Der König verließ die Stadt; und seine Frauen, Kinder, Hofleute und Kriegsleute mit ihm.
Als David nach Bahurim kam, lief ihm ein Mann entgegen: Schimi, ein Verwandter Sauls. Er beschimpfte David und bewarf ihn mit Steinen. Er stieß wilde Flüche aus: »Zum Teufel mit dir, du Mörder, du Unmensch! Jetzt erlebst du die Strafe für das, was du Sauls Familie angetan hast. Der Herr bringe das Blut aller Ermordeten über dich! Das Königtum, das du an dich gerissen hast, hat er deinem Sohn Abschalom gegeben. Jetzt steckst du selber im Unglück, du Mörder!« Da sagte Abischai, der Sohn der Zeruja, zu David: »Wie kommt dieser tote Hund dazu, den König zu beschimpfen? Ich gehe und schlage ihm den Kopf ab!« Aber David erwiderte: »Was geht das dich an, Sohn der Zeruja? Gott hat ihm befohlen, mich zu beschimpfen; wer darf ihn da zur Rechenschaft ziehen. Sogar mein Sohn Abschalom will mich umbringen. Was kann man da erwarten von einem aus dem Stamm Benjamin, dem Stamm Sauls? Lasst ihn fluchen, der Herr hat es ihm befohlen. Ich muss jetzt diese Erniedrigung hinnehmen; vielleicht aber erbarmt sich der Herr und erweist mir Gutes statt dem Fluch, der mir heute nachgeschleudert wird.« Während David mit seinen Leuten weiterging, lief Schimi auf der anderen Talseite nebenher. Er beschimpfte David in einem fort und warf mit Steinen und Dreck. Erschöpft kam der König mit seinen Leuten schließlich zum Jordan.
In dieser schlimmen Lage, auf der Flucht vor dem eigenen Sohn, spielt der Glaube Davids die entscheidende Rolle. Ob das auch bei uns so wäre? David reagiert überraschend demütig: «Lasst ihn fluchen, der Herr hat es ihm befohlen.» David müsste nur nicken und dieser Schimi wäre einen Kopf kürzer, wie Abischai droht. Abischai ist der Bruder von Joab, die beiden berüchtigten «Söhne der Zeruja». Die zwei sind unheimliche Berserker, sogar David hat zuweilen Angst vor ihnen. Merkwürdigerweise hört man nur von ihrer Mutter Zeruja, einer Schwester von David. Und der Vater?
Der Aufrührer Abschalom kommt dann um und David ist wieder unangefochtener Herrscher. Da kriecht Schimi wieder daher und bittet um Vergebung für seine Flucherei. Grossmütig schwört David, er lasse ihm das Leben. Aber auf dem Totenbett sagt er zu seinem Nachfolger Salomo: «Du kennst den Schimi, der mir fluchte: Schick sein graues Haupt blutig in die Unterwelt!» Und Salomo gehorcht…
Versetzen wir uns nun in die Lage des Königs! Wir wissen zum Glück nicht, wie Flucht sich anfühlt. Oder etwa aus unseren Albträumen? Fliehen-Müssen ist schlimm, und da taucht noch ein alter Feind auf, wirft Steine und flucht. Wissen wir noch, was ein Fluch ist? Heute denkt man, Worte seien Schall und Rauch, die könne man getrost vergessen. Leider nicht. Worte können schlimmen Schaden anrichten. Beispiel: Mein Hautarzt macht mir eine Warze weg und zuckt dabei die Achseln: «Ja, die kommen halt leider wieder». Das ist eine Prophetie, die sich selbst erfüllt, eine Art Fluch! Natürlich kamen die Warzen wieder. Nocebo-Wirkung sagt die Medizin dem, was früher Fluch hiess. Flüche sind Pfeile. Sie stecken im Herzen, wo man sie nicht herausziehen kann. Schimi verflucht zudem einen, der eh schon am Boden und verletzlich ist. Schlimm! Jeder würde reagieren wie Abischai: «Den Kerl mach ich kaputt.»
Aber nicht David! «Lasst ihn fluchen, Gott hat es ihm befohlen.» Befiehlt Gott Flüche?! Was ist das für ein Gottesglaube? Wenn einer euch wüst sagt, findet ihr auch: «Gott hat es so befohlen»? Wenn einer Schmerzen hat und der Arzt will ihm eine Spritze geben, sagt dann der Gläubige: «Nein Danke, Gott schickt mir die Schmerzen»? Den möchte ich kennen lernen! Aber wie denken wir von Gott und von all dem Übel in der Welt? Woher kommen Schmerzen? Vielleicht habe ich nicht gesund gelebt, zu wenig Sport, zu viele Nussgipfel, etwas falsch gemacht. Vielleicht habe ich ein Bakterium aufgelesen. Dumm gelaufen, selber schuld; aber an Gott denke ich nicht. Unser Glaube ist etwas technisch geworden. Etwas stimmt nicht, etwas tschäderet, dann muss man’s halt flicken. Medikamente, Therapie, Operation. Gott hat höchstens unterstützend damit zu tun. Die Ursachen für das Böse suchen wir bei uns, oder anderen, wie diesem Schimi, oder beim Zufall, aber nicht bei Gott. Schon eher beim Teufel? Aber haben wir das Buch Hiob verstanden? Dort steht, der Teufel bringe nur Übel über Menschen, wenn Gott es ihm ausdrücklich erlaubt. Also landen wir wieder beim Höchsten, und dass der einem Schimi befehlen würde, David zu verfluchen, kommt uns nicht in den Sinn. Warum denkt David so?
Der hat natürlich ein schlechtes Gewissen. Vor Jahren hatte David acht Nachkommen von Saul umbringen lassen. Darunter fünf Söhne seiner Michal, der Tochter Sauls, in die er einst unsterblich verliebt war! Alle Enkel von Saul waren halt potenzielle Thronanwärter. David liess darum alle männlichen Nachkommen Sauls liquidieren. Er weiss also genau, Schimi hat Recht! «Du Mörder, du Unmensch! Jetzt hast du die Strafe für das, was du Sauls Familie Sauls getan hast. Der Herr bringe das Blut der Ermordeten über dich!“
Aber Davids schlechtes Gewissen ist nur eine, vordergründige Erklärung. Die andere: Die Bibel, auch das NT!, empfängt alles von Gott, auch das Negative. Hiob sagt: «Das Gute nehmen wir an von Gott, sollten wir das Böse von ihm nicht auch annehmen?» 2,10. Hanna singt: «Der Herr macht arm, und er macht reich. Er macht tot und lebendig, er führt hinab ins Totenreich und wieder herauf». 1 Sam 2,6, und nach ihr Maria: «Er stürzt die Mächtigen vom Thron…» Lk 1,52. Jeremia klagt: «Wenn ich auch schrie und flehte, Gott blieb stumm. Mit Quadern hat er mir den Weg verlegt und mich in die Irre geführt. Er spannte den Bogen und stellte mich hin als Ziel für seine Pfeile.» Klgl 3,8-13 Und Jesus sagt zu Pilatus, der ihn kreuzigen liess: «Du hättest keine Macht, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre.» Jh 19,11
Das Besondere an der Bibel ist ihr Monotheismus: es gibt nur eine einzige Macht über uns. Das aber heisst, dass auch das Übel letztlich von ihr kommt. Man kann es beschönigen und sagen: Gott lässt das Übel geschehen, er erlaubt es. David aber sagt es aktiv: «Lasst ihn fluchen, denn Gott hat es ihm befohlen.» Dieser Glaube gibt dem David eine einzigartige Hoffnung. Kommt nämlich der Fluch von Gott, so gibt es auch jemanden, der ihn zurücknehmen und in Segen verwandeln kann. Aber bleiben wir zunächst noch bei diesem Glauben, dass letztlich auch Leid von Gott kommt.
Dieser Glaube ermöglicht David, das Übel vorerst einmal anzunehmen, zu akzeptieren,. Die Psychologie entdeckt, dass Annehmen-Können eine seelische Kraft, eine wertvolle Ressource ist. Aus dem Bauch heraus reagieren wir immer anders: Auflehnen, abwehren, widerstehen, bekämpfen, mit einer «Anti»-Haltung. Aber diese Abwehr gibt dem Übel noch Wucht. Überwunden werden kann das Schlimme oft erst, wenn es erst einmal angenommen ist. Heilung braucht diese Annahme: «Lasst ihn fluchen, Gott hat es ihm befohlen. Ich muss jetzt diese Erniedrigung hinnehmen.» Wir kennen den Psalm, wo es heisst: «Und muss ich schon wandern im finsteren Tale.» «Ich muss». Warum? Wer treibt das Schaf ins finstere Tal? Der Hirt eben, mit «Stecken und Stab». Darum fürchtet David kein Unglück. Ja sagen zu dem, was mich trifft. «Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand…» Auch Bonhoeffer nimmt den Leidenskelch aus Gottes Hand, wie sein Meister in Gethsemane. Das widerspricht unserem Zeitgeist. Der schaltet gleich auf Abwehr, wie die Zerujasöhne: Schlagen wir dem den Kopf ab, dann ist Ruhe.
Versteht mich recht:
- Die technische Gesinnung, die sofort fragt, wie man das flicken kann, die ist schon gut. Die geben wir nicht mehr her, sie bringt uns Wohlstand und oft Schmerzfreiheit, wo unsere Vorfahren noch litten!
- Und wenn wir in vertrauensvoller Ahnung auch das Übel aus Gottes Hand annehmen, dann tun wir das für uns, und ja nicht für die Welt oder für andere! Es ist lieblos, einem Leidenden zu sagen: «Nimm es doch an, das schickt dir Gott,» oder es wäre dumm und anmassend, bei einem Tsunami herum zu posaunen, den habe Gott geschickt. So kann und soll David nur für sich persönlich glauben.
Aber weil David auch den Fluch aus Gottes Hand nimmt, ist er voll Hoffnung. Wie das? Wenn er doch glaubt, Gott selbst habe den Fluch geschickt, gibt es erst recht keine Hoffnung!? So haben es früher viele Christen missverstanden. Sie dachten: Jetzt straft Gott mich für meine (wirkliche oder eingebildete) Sünde. Jetzt muss ich halt diese Strafe ertragen. Da ist alles hoffnungslos. Das aber ist nicht der biblische Gottesglaube, sondern eher ein muslimischer: Fatalismus. Kismet. Ka me nix mache.
Der biblische Gott schickt wohl das Übel, aber er lässt auch mit sich reden, sogar markten. Das Böse reut ihn manchmal, und er kehrt den Fluch in Segen bei denen, die «seinen Namen fürchten». Gott reut die Sintflut und er verspricht, nie mehr die Erde zu ersäufen. Abraham marktet mit Gott: «Du kannst nicht die ganze Stadt vernichten! Da hat’s vielleicht auch 50 Gerechte, du willst doch nicht Gerechte mit Ungerechten vernichten»!? Gott lässt sich von Abraham überzeugen, nur dass damals in Sodom nicht einmal 10 Gerechte zu finden waren. Ich habe Mose im Ohr, der Gott gegenübertritt: «Du kannst dein Volk nicht strafen und vernichten, was würden die andern Völker sagen von dir?» Und Gott lässt mit sich reden. An diesen Gott, der mit sich streiten lässt, glaubt David: «Ich muss jetzt diese Erniedrigung hinnehmen; vielleicht aber erbarmt sich der Herr und erweist mir Gutes statt dem Fluch.» Vielleicht erbarmt sich der Herr und wandelt Fluch in Segen. Weil das Übel nicht zufälliges Schicksal ist, gibt es immer Hoffnung! «Denn Er ist barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Güte. Er wird nicht immer zürnen, Er verharrt nicht ewig im Groll.» Ps 103,9
Wie denken wir von Gott? Heute haben Gläubige oft einen Gott wie einen grossen Teddybären. Man kann bei ihm das Herz ausschütten und ein wenig Kuscheltrost finden. Der schlägt nie, und er hilft auch nicht wirklich. Mit dem Wetter hat er nichts mehr zu tun, mit der Politik nicht, mit Glück und Pech nicht, mit Krankheit auch nicht – OK, dem Doktor helfen sollte er schon. Er ist einfach da und ist ein Lieber, und die Welt läuft ohne ihn nach Zufall und so, wie wir Menschen sie einrichten. Steffensky sagt, wir leben in einer Zeit der «Verhaustierung Gottes».
Vielleicht wollen wir von David lernen? Es gibt der Seele Weite und Kraft, wenn wir auch Schlimmes von Gott annehmen können und zugleich darauf vertrauen, dass Gott sich erbarmt und das Schlimme wieder in Gutes wandelt.