Neidisch? Ich doch nicht!

Neidisch? Ich doch nicht!

Der eine Zwilling ergreift strahlend das Traktörli. Der andere stampft und kräht zum Stein Erweichen. Er wird von Mami zurückgehalten, damit er nicht auf Brüderlein losgeht und dem die Augen auskratzt. Was ist denn los? Mami, die Konfliktmanagerin, hat gesagt, zuerst dürfe Nummer Eins mit dem Traktörli spielen, für eine Viertelstunde; dann dürfe der andere. Frieden kam so allerdings nicht zustande. Die beiden wissen nicht, was „Viertelstunde“ ist. Auch Nummer Eins wird loskrähen, sobald er den Traktor dem anderen abgeben muss. Was los ist? Nur Neid, nichts Ernstes.

Nichts Ernstes!? Darf ich an Kain und Abel erinnern? Das erste, was die Bibel erzählt, jenseits von Eden: Einer schlägt seinen Bruder tot, aus Neid! Neid zählt in der alten Kirche zählt zu den Todsünden. Die Zehn Gebote gipfeln in der Warnung: „Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört, sein Haus, seine Frau oder Magd, sein Kamel oder Rind, sein Auto, seine Jacht…“

Auch der Seelendoktor warnt deutlich: Neid ist ernst zu nehmen! Es ist ein toxischer Gefühls-Cocktail, gemixt aus Kränkung, Selbstabwertung, Ohnmacht, Trauer, Wut, Hass. Nicht immer gleich viel von allem, die Mischung ist von Kanton zu Kanton verschieden und geheim wie das Appenzeller-Rezept. Aber Neid mottet und glüht im Unbewussten. Unerkannte, giftige Gefühle können in Wechselwirkung treten und sogar aus Liebe Hass machen.

Gott sei Dank lernen die Zwillinge bald, Neid zu überwinden. Es mag es noch Pubertierende geben, die eifersüchtig sind auf die tolle Biene, die sich der Freund zulegt oder auf die schlanke Taille, die sich die Freundin erhungert. Aber dann wird man erwachsen. Unter Erwachsenen gibt es Neid nicht mehr.

Gewiss, nicht alle sind gleich vor dem Herrn. Eine Kollegin wird von der Uni geehrt. Ein anderer kommt ständig am Fernsehen, weil er Pfarrer und zugleich Atheist sein will. Nebenan haben sie erfolgreiche, fromme Kinder, an Weihnachten ein Haus voll Enkel. Mein Bruder läuft mit Siebzig Marathon und sieht nicht verrunzelt aus wie ich. Der Nachbar fährt mit einem Tesla vor. Ein Konkurrent kauft Häuser und fliegt wieder nach Dubai. Da freue ich mich immer und danke Gott für seine Grosszügigkeit, die er wenigstens einzelnen erweist. Aber ich bin zufrieden mit meiner Rösti und meinem Rösli. „Alls das muess i nid ha!“ Alle sind zufrieden, niemand ist neidisch, fragen Sie nur herum! „Och, auch der kann nur eine Wurst aufs Mal essen. Geld macht nicht glücklich. Vielleicht hat der Hämorrhoiden und ist depressiv. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das letzte Hemd hat keine Taschen.“ Neid gibt es also nicht, wenn man glaubt, was die Leute sagen.

Ich glaube es nicht. Wer behauptet, keinen Neid zu kennen, kennt sich selbst nicht, oder ist nicht ehrlich oder hat nicht alle Knöpfe am Radio. Ein normal gesunder Mensch empfindet Neid. Vielleicht kann man Neid mit der Zeit handhaben, aber sicher nur, wenn man ihn auch spürt und zugibt: Ich bin wieder mal gelb vor Neid.

Herunterschlucken schlägt nur auf den Magen.

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