Reinen Herzens? Predigt zu Matthäus 5,8

Die sieben Seligpreisungen in der Bergpredigt von Matthäus gehören zu den bekannten Worten Jesu. Oder sind es zehn? Es sind neun, Lukas überliefert vier. Hört man diese Worte oft, merkt man nicht mehr recht, ob man sie eigentlich versteht, ähnlich wie beim Unser Vater. «Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen». Mir fiel auf, dass ich diese Seligpreisung nicht verstand. Nun gibt mir die Gemeinde den schönen Auftrag zu recherchieren, nachzusinnen und nachzulesen. Und jetzt verstehe ich’s? Schön wär’s. Sie wissen, wie es geht in der Forschung. Man hat eine Frage und fängt an zu forschen. Nicht lange, da hat man drei weitere Fragen. Das ist wie in der Naturwissenschaft. Die Welt ist grösser und das Wort Gottes tiefer als unser Spatzenhirn.

«Selig sind…» was ist gemeint? «Glücklich sind», «glückselig seid ihr», oder «freuen dürfen sich», übersetzen einige, «glücklech für geng». «Blessed» auf englisch, gesegnet also, «heureux». Es ist eine jüdische Art zu reden, und das Schwierige ist, dass wir diese Redeform so nicht haben. Vielleicht, wenn jemandem unerwartet das Glück lacht, sagen wir: «Läck, hat der Schwein gehabt!» Aber wir preisen kaum jemanden glücklich. Das Gegenteil kennen wir eher, nicht Seligpreisung, aber Bemitleidung: «Das si scho armi Tüfle ir Ukraine; oder die im Solina». Gewiss, wir sprechen schon auch positiv von anderen, aber nie so wie die Juden. «Baruk atah», du bist gesegnet, dir geht’s doch einfach gut, du bist ein Glückspilz… so fangen gern jüdische Gespräche an. Eine Frau rief z.B. Jesus zu: «Gesegnet ist die Frau, die dich geboren hat!» So redet man auch zu Gott im Gebet. Die täglichen Segnungen fangen immer so an: «Gesegnet bist du, Gott, König des Himmels, der du uns… das Brot gibst…». Also: Beim Beten, im Gespräch, überall sagt der Jude: Du bist gut, gut hast du’s, dir geht’s gut, du hast Glück, du bist gesegnet…». Auf griechisch: Makarios, und auf Deutsch das komische «selig bist du…»

Eine Seligpreisung will also nicht etwa sagen, jemand komme in den Himmel! Die Redensart «selig ist» hat noch nichts mit der ewigen Seligkeit zu tun. Das war alltäglich, man darf nicht zu viel in diese Sprüche geheimnissen.

Aber nun das «reine Herz»? «Selig sind, die reinen Herzens sind.» Das kann man so hören: «Du Glückspilz; du hast ein reines Herz! Du hast es gut, dein Herz ist sauber». Ist «rein» dasselbe wie «sauber»? Nicht ganz, «sauber» sind äussere Dinge, Pfannen oder Füsse. «Rein» sagt man eher von Innerem, Geistigem. Das «Nöie Teschtamänt bärndütsch» übersetzt «reines Herz» mit «e luteri Gsinnig». Das halte ich für einen Volltreffer.

Ich habe in der Bibel geforscht, und natürlich im Internet. (Ich muss Sie hier anständigerweise warnen, ich führe Sie aufs Glatteis). Im Internet kommt man sofort auf eine Andacht, die sehr deutlich sagt, was ein reines Herz ist: Gott hat uns erschaffen mit einem reinen, makellosen Herzen, und wenn er uns einst zu sich ruft, müssen wir ihm wieder ein reines, makelloses Herz zurückgeben, sonst wird er uns nicht akzeptieren. Und was ist ein reines Herz? Es ist ein Herz, in dem kein Platz ist für Hass, Bosheit, Ärger, Neid oder Zweifel. Jede Sünde macht einen schwarzen Fleck ins Herz. Ein schwarz beflecktes Herz aber ist hart und gottlos. Ein solches Herz wird Gott nie akzeptieren.

So ähnlich hörten wir es vielleicht im Kindergartenalter? «Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein»? Jede Sünde macht einen schwarzen Fleck! In der Pubertät wurde die Predigt dann deutlicher. Ein reines Herz hat keine unreinen Gedanken, verfällt nicht der «Lust der Augen». Ein reines Herz widersteht der Versuchung, Pornovideos zu gucken und unter der Bettdecke Zeug zu machen, ja eben. Nein, das Herz muss rein bleiben von sexualisierten Bildern; Sex kommt erst nach der Hochzeit, und da auch nur zum Kinder machen, die dem Heiland nachfolgen, Jugend für Christus! Hörten Sie früher Ähnliches?

Das Komische ist: Diese Andacht auf Youtube hält ein muslimischer Imam. Das «reine Herz» ist ein wichtiger Begriff im Islam. Mir wurde es ganz mulmig beim Zuhören. Es tönt so verdächtig ähnlich wie ein christlicher Sektenprediger (https://www.youtube.com/watch?v=AynqwtI1vMM ). Die Botschaft ist: Streng dich an, gib dir Mühe, allen Versuchungen zu widerstehen, halte dein Herz rein von der Welt und von der Sünde! Du musst Gott ein reines Herz zurückgeben. Tönt fromm – und ist so gar nicht christlich!

Zunächst tönt es wohl ähnlich in der Bibel. «Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn; wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz, der nicht betrügt und keinen Meineid schwört» (Psalm 24,3f). Aber wer hat ein lauteres Herz? Schon David weiss, dass er kein reines Herz hat, sobald er vor Gott tritt. «Ich erkenne meine bösen Taten. Gegen dich allein habe ich gesündigt, ich habe getan, was dir missfällt. Erschaffe mir Gott, ein reines Herz, nimm deinen heiligen Geist nicht von mir» (Psalm 51,5-12). Jesaja: «Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit weg von mir» (29,13). Weit weg von Gott ist des Menschen Herz!? Jeremia: «Arglistig ohnegleichen ist das Herz und unverbesserlich, wer kann es ergründen? Ich, der Herr, erforsche das Herz» (17,9f). Ezechiel: «Ich schenke ihnen ein anderes Herz und einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz aus Fleisch, damit sie nach meinen Geboten leben» (11,19).

Die Bibel geht nicht davon aus, dass Gott uns bei der Geburt ein reines Herz gab. Mag sein, aber sobald das Bewusstsein erwacht, sieht es schon schwarze Flecken. Unsere Religion lebt nicht in der Illusion, unser Herz sei ursprünglich rein, oder wir könnten unser Herz reinhalten, wir könnten es verbessern oder reinigen. Nein, das Herz ist unverbesserlich, arglistig ohnegleichen; weit weg von Gott, hart wie Stein. Wir haben auch keinen Zugang zu unserem Herzen; nur Gott erforscht es. Nur er kann uns ein reines Herz schaffen, und das heisst, er muss uns ein komplett neues geben, durch seinen Geist. «Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist» (Röm 5,5). Als Griechen und andere Nichtjuden zum Glauben an Jesus kamen, sagte die Apostelgeschichte: «Gott hat sogar ihre Herzen rein gemacht durch das Gottvertrauen (in alten Übersetzungen «den Glauben»» 15,9).

Ich fasse zusammen, was da zu lernen ist. Das Herz ist unser Kommandozentrum. Es lenkt und steuert unser Leben. Manchmal redet auch der «gesunde Menschenverstand» ein wenig drein, aber im Wesentlichen bestimmt ein tiefliegendes Zentrum, wer der Mensch ist und was er tut. Wir kennen unser Herz, das uns leitet, kaum. Nur Gott kann es erforschen, das heisst psychologisch: unser Herz ist unter der Bewusstseinsschwelle, im Unbewussten. Und dieses Herz sei hart wie Stein, weit weg von Gott, arglistig, unverbesserlich; bei allen, einfach, weil wir Menschen sind, Adamssöhne und Evastöchter, sagt unsere Bibel. So haben wir also keine Chance, unser Herz von Sündenflecken weiss zu waschen? Nein, keine Chance. Aber Gott will doch ein reines Herz? Zum heiligen Berg Gottes kann man nur hinaufsteigen mit einem lauteren Herz? Richtig. Darum macht Gott selbst unser Herz rein.

Wie kann man das erleben? Das hat Johannes ausgedeutscht: «Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, betrügen wir uns selbst. Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht. Er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht.» (1 Joh 1,9).

Wo ist eigentlich hier der Beichtstuhl? In der Beichte erlebten Generationen von Gläubigen über tausend Jahre, wie Gott das Herz rein macht. Ich weiss, die Beichte ist zünftig aus der Mode. Bald nach der Reformation wurde sie bei den Protestanten aufgegeben. Luther allerdings schätzte die Einzelbeichte und beichtete selbst oft. Aber die Beichte gibt einem Priester halt eine gefährliche Macht. So musste sie wohl verschwinden.

Aber ist mit der Beichte auch das Bekennen der Sünde verschwunden? Kein Wunder, wissen die wenigsten heute, wie man erlebt, dass Gott das Herz rein macht. Gut, ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie wichtig es ist, Sünde vor einem Menschen zu bekennen. Wahrscheinlich wäre es aber wichtig. Weil, was wir im Oberstübli denken, in der Regel nur warme Luft ist, ohne konkrete Auswirkung. Normalerweise hört das Herz gar nicht hin, wenn da oben geplappert und gedacht wird, es passiert ja eh nix! Aber wenn wir laut sagen: «Das ist meine Sünde, ich gebe es zu und bitte Gott um Vergebung,» da spitzt das Herz die Ohren: Aha, offenbar ist es meinem Menschen jetzt ernst! David bittet Gott um ein reines Herz, weil er zuerst seine Sünde bekannt hat.

Ich glaube, das reine Herz ist Ehrlichkeit im Innersten. Vielleicht kann man zwei Abschnitte im Leben unterscheiden. Im ersten Abschnitt, als junge Erwachsene, bauen wir unser Selbstbewusstsein, unsere Selbstachtung: Ich kann etwas, ich bin jemand, ich mache es besser als meine Eltern. Der zweite Lebensabschnitt aber dient der Selbsterkenntnis. Ich bin zwar jemand, Gott hat mich geschaffen und geführt, aber es ist nicht alles Gold in meinem Leben; es hat Tolggen im Reinheft; «ich bin nicht besser als meine Väter» (1 Kö 19).

C. G. Jung sagt, der Mensch müsse seine Schattenseiten integrieren, d.h. erst mal erkennen, dann zugeben und annehmen. Das Ziel sei ganz Mensch werden, die sog. Individuation. Sie gelingt, wenn ich es schaffe, meinen Schatten anzuschauen, meine schwierigen Seiten: Selbstsucht, Schadenfreude, Eifersucht …, kurz: meine Sünde – Ehrlichkeit im Innersten.

Das ist aber schwierig! Weil unser Denkapparat, die Ratio, ein Meister darin ist, uns ins beste Licht zu rücken, zu rechtfertigen, was wir tun, Fehler abzustreiten und andern in die Schuhe zu schieben. Wir werden irgendwie im Leben darauf programmiert. Achten Sie sich: Was geht ab, wenn uns jemand einen Vorwurf macht? Da erwacht doch der kleine Donald Trump in uns: «Stimmt gar nicht. Ich kann nichts dafür. Schuld sind die anderen. Du selbst machst ja das Gleiche!» Die Bibel hält uns den Spiegel vor. Adam isst die verbotene Frucht. Gott konfrontiert ihn. Sofort geht’s los: «Die Frau hat mir gegeben. Du hast mir ja die Frau gegeben.» Eva sagt: «Die Schlange war’s!» Wir haben in uns eine Rechtfertigungsautomatik. Solange die läuft, gibt es kein reines Herz.

Der Christenglaube hilft uns aber wunderbar, die Rechtfertigungsmaschine herunterzufahren. Wie denn? Weil Gott uns rechtfertigt! Christus ging ans Kreuz, um zu sterben für unseren Schatten, für unsere Sünde. «So sind wir nun gerechtfertigt und haben Frieden mit Gott.» Wir müssen aber dazu unseren Schatten anschauen, so wie das Gottesvolk die eherne Schlange, das Schattensymbol, anschauen musste, um heil zu werden. Unsere Sünde anschauen und uns nicht selbst rechtfertigen. Seine Schattenseiten erkennen und ohne Angst Gott hinhalten, das ist «Wahrheit im Innersten» Ps 51,8. «Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen» Joh 8,32. Das ist gewiss das reine Herz. «Selig sind, die reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen.» Die Zeit fehlt, um das «Gott schauen» näher auszulegen. «Gott schauen» ist das Höchste, das uns zuteil werden kann: Daheimsein in ewiger Gemeinschaft mit unserem Schöpfer und Vater. Hier redet Jesus von der ewigen Glückseligkeit, auch und erst recht nach dem Sterben. Gott macht unsere Herzen rein, damit wir ewig bei ihm sein können, ohne dass sein Licht uns versengt.

«Der Gott des Friedens mache euch tüchtig in allem Guten, damit ihr seinen Willen tut. Er bewirke in uns, was ihm gefällt, durch Jesus, den Gesalbten, Ehre ihm in alle Ewigkeit.»

Heb 11,20f

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