Onkel Ferdinand wurde in die Aare gestreut. Zuerst wurde er gründlich verbrannt, dann pilgerte der engste Familienkreis an einem Samstag zum Eichhölzli. Tochter Nadja trug die kompostierbare Urne, geschmückt mit Kapuzinerkresse. Man wusste nicht recht, wie das nun gehen sollte. Aber Sohn Moritz brummte: „Nun mach doch schon,“ und Nadja schlüpfte aus ihren Tewa, watete ins Wasser und leerte die Urne. Dann gab es Würste vom Grill. Für Ferdinand nicht mehr, aber er kannte seiner Lebtage nichts Schöneres, als im Eichhözli zu bräteln, zu schwimmen und an der Sonne zu trocknen. Seine Leute hatten öfter hören müssen: „Ich will dann einmal im Eichhölzli in die Aare, und zwar ohne Pfaff.“ Seither muss ich immer an Ferdinand denken, wenn ich im Marzili in der Aare schwimme, besonders, wenn ich versehentlich Wasser schlucke. Natürlich ist das hypersensibel, schliesslich pinkeln die Fische ja auch ins Wasser und es hat mir noch nie etwas ausgemacht. Ferdis Familie hatte publizieren lassen, er werde immer in ihren Herzen bleiben. Stimmt also nicht ganz. Für mich ist er dummerweise in der lieben Aare. Habe ich nicht gelesen, der Schweizer sei mit all dem, was er gewollt und ungewollt ein Leben lang aufnimmt, heute so etwas wie Sondermüll?
Aber wer kann den Lauf der Zeitgeistmode aufhalten? Seit Polo National „sich“ von einem Flugzeug über dem Niesen verstreuen liess, ist die Aschenfrage buchstäblich in aller Mund (und Lunge). Jedes muss sich überlegen, an welch einzigartigem Ort es verstreut werden möchte, damit doch wenigstens etwas in seinem Leben originell sein möchte.
Gewiss gibt es persönliche Gründe, warum man nicht mit dem andern Gesindel auf dem Friedhof liegen möchte. Die meisten Gründe leuchten aber nicht unmittelbar ein. Ein Verstorbener hat ja in der geistigen Welt mit Sicherheit Gescheiteres zu tun hat, als sich Sorgen zu machen, was mit seinem alten Fahrzeug da unten angestellt wird. Ferdinand war übrigens irrtümlich der Überzeugung, mit dem Tod sei alles schluss und fertig. Warum kümmert ihn dann seine Asche? Seine Angehörigen hätten nämlich gern in einer schlichten Feier noch einmal sein Leben aufgerollt und ihm ein paar anständige Tränen nachgeweint. Mit dem Eichhölzli Wunsch hat er ihnen das gründlich vermiest.
Es gibt vielleicht einen Grund für die Streuseuche, der einleuchtet: Wer sich ein Leben lang von der Kirche distanziert hat, will nicht im Tode heucheln. Das ist ehrlich und recht. Aber es gibt trotzdem viele gute Gründe für den Friedhof: Da liegen alle, auf deren Arbeit und Hingabe auch mein Leben aufbaut. Meine Vorfahren waren keine Musterknaben, aber sie wussten, wohin sie gehörten: zu ihren Müttern und Vätern, zu ihren alten Freunden. Da ist der Ort, wo Angehörige hinkommen und sich erinnern. Da bringt man Blumen und Kerzen und betet für die Toten, die einen offen katholisch und die andern verstohlen evangelisch. Gebet würde Ferdinand vielleicht nicht schaden, wenn er merkt, dass mit dem Tod nicht alles so fertig ist, wie er hoffte.
Wollen wir wirklich Totenasche bei jedem schönen Bänkli, auf jedem Gipfel und Älpli? In der Schweiz stirbt gut eine halbe Million in zehn Jahren. Das gibt mehrere Urnen pro schönes Bänkli! Lieber im Vorgarten? Und wenn das Haus vermietet oder verkauft wird? Muss man es den Neuen sagen? Muss man dem neuen Lebensabschnittspartner zumuten, dass die Ex bei den Stangenbohnen ruht oder in der Urne auf dem Klavier? Unsere Ahnen haben doch dazu den Friedhof erfunden und unsere Väter das Gemeinschaftsgrab, das auch keine Arbeit macht.
Friede ihrer Asche!