Anstössige Fragen

Beim Waldtraben ging ich der Länge nach zu Grunde. Mein Fuss war an einen Stein gestossen, ich kam in eine unkontrollierte Fluglage und die Landung war ungeplant. Nach diesem Sturz wurde es wieder mal Zeit, den Chef um ein Gespräch zu bitten. Verehrter Allmächtiger, ich darf in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass wohl niemand aus meiner Leserschaft so oft deinen Psalm 91 betet wie ich. „Er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf allen deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuss nicht an einen Stein stösst (Hervorhebung durch mich).“ Was sagst du nun bitte dazu, zu meinem konkreten Fall?

War es eine Antwort, was ich im Innern hörte? „Habe ich dich nicht beten gelehrt: Unser tägliches Brot gib uns heute?“ Da hat man es wieder: Auf ernsthafte Fragen antworten die Juden gern mit einer Gegenfrage. Natürlich bete ich um das tägliche Brot! Was hat das mit meinem Waldboden-Grounding zu tun? Das tägliche Brot hole und bezahle ich beim Bäcker. Nicht beim Grossverteiler, OK?, sonst machen noch mehr gluschtige Bäckereien dicht, und wir sind schuld. Ich bete also um das tägliche Brot, hole und bezahle es aber zugleich selbst mit Geld, das ich im Schweisse meines Angesichts auch selbst verdient habe. Was soll nun die Bitte um Brot, wenn man es eh selber beschafft? Was nützt Hoffnung auf Engel, die dafür sorgen, dass der Fuss nicht an einen Stein stösst, wenn man eh selbst die Schinken (berndeutsch Scheiche) lüpfen muss? Die Spötter lachen: Was nützt Beten, wenn es eh nichts nützt?

Bedenkenswerte Frage. Ich höre sogar den Meister sagen: „Euer Vater im Himmel weiss, was ihr bedürft, noch bevor ihr ihn bittet.“ Wie soll man das verstehen? Soll man sich die ganze Beterei sparen!? Nein, Jesus fährt gleich fort und lehrt seine Leute das Unservater. Jesus scheint übrigens Psalm 91 mit den tragenden Engeln regelmässig gebetet zu haben. Beten, aber zugleich selber machen, wie wenn es keinen Gott gäbe? Hilf dir selbst, so hilft dir Gott? Wie soll das logisch aufgehen?

Ich muss mich natürlich belehren lassen: Mein Brot kann ich nur holen und zahlen, wenn ich gesund bin, wenn es dem Bäcker gut geht, wenn es Weizen gibt, wenn die Erde fruchtbar ist und Regen kommt. Weizen, Boden, Regen, Gesundheit – alles geschenkt. Der Himmel hat schon viel in mich investiert, bevor ich überhaupt denke: „Hilf dir selbst“. Das leuchtet ein, aber man kann ja nicht immer daran denken. Um Brot bitten und selbst zum Bäcker gehen bleibt ein logischer Widerspruch. Und liegt man auf der Nase, so ist es nur natürlich zu fragen: Gott, machen deine Engel Pause?

Einfache Gemüter machen darum kurzen Prozess: Beten ist unlogisch, lassen wir es bleiben! Ich bin etwas komplizierter. Wenn ich alles bleiben lassen wollte, was ich logisch nicht auf die Reihe bringe, bliebe wenig übrig. Wenn ich nichts mehr zu beten hätte, hätte ich nicht mehr viel zu lachen, scheint mir. Ich vermute, hinter den Engeln, die meinen Fuss vor anstössigen Steinen bewahren, steckt mehr Wahrheit als in meinem logischen Denken. Und ich finde beten etwas vom Schönen im Leben. Aber ja, ich will mir Mühe geben, meine verflixten Füsse bewusster und höher zu lüpfen. Den Engeln gönnt man auch mal eine Pause.

Wer Bibelstellen überprüfen will: Psalm 91,11.12; Matthäus 6,8.11; 4,6

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